Wir blicken in das ehemalige Kloster Lauresham
an der Weschnitz, dort wo sich heute die
hessische
Kleinstadt
Lorsch
mit
der
viel
sagenden Beifügung Karolinger Stadt befindet. Vor dem Abt Gundeland und dem Klosterschreiber kniet Albuin, ein Landbesitzer aus dem Wormsgau und schenkt derMönchsgemeinschaft ein halbes Joch Pflugland. Diese Schenkung geschah nicht nur selbstlos, insbesondere wollte er damit das Seelenheil seines Bruders Raginrich sichern. Das Beten und Singen der Klostermänner und die Fürsprache des im Kloster beerdigten heiligen Nazarius, einem römischen Märtyrer, so glaubte der vorbenannte Albuin, würde maßgeblich dazu beitragen. Das dem Kloster überschriebene und als ewiges Eigen gut benannte halbe Joch Pflugland, sollte sein Anliegen unterstützen. Die Schenkung wurde auf einer Urkunde festgehalten und mit dem Handzeichen des Albuin besiegelt. Dem Zeitpunkt und dem Ort gilt jetzt die Aufmerksamkeit. Die Urkunde wurde am 4. April des Jahres 773 ausgestellt und das halbe Joch Pflugland befindet sich in der „rossunger marca“, was bedeutet, in der Gemarkung Rüssingen liegend. Der 4. April 773 war der Tag, an dem Rüssingen erstmals schriftliche Erwähnung fand. Der Lorscher Codex, ein Kopialbuch, in dem zwischen 1170 und 1195 nachgewiesen 3863 Originalurkunden über Kauf und Tauschgeschäfte, sowie Schenkungen von Gehöften und Ländereien an das Kloster Lorsch Eintragung fanden, enthältdie amtliche Beurkundung über die Existenzvon Rüssingen. Nun ist es nicht so, dass Rüssingen erst 773 gegründet wurde, nein die Spuren führen in eine viel ältere Zeit. Der verstorbeneRüssinger Historiker Berthold Schmidtke schreibt über die viel älteren Spuren: „...wohl schon zur Jungsteinzeit – das war vor etwa 4000 Jahren, damals wurden aus Jägern und Sammler sesshafte Bauern – war das Land der Rüssinger Gemarkung wegen seiner hochwertigen Böden unter dem Pflug“. Anfang der 1930er Jahre des letzten Jahrhunderts ist eine Pflugschar aus Plattenkalk bei Feldarbeiten aufgetaucht, deren Alter zwischen 4000 bis 5000 Jahre beträgt und nach Gutsbesitzer Dr. Rudolf Bernhard (Nordpfälzer Geschichtsblätter, 5/1935), als das älteste Pflugschar aus Stein gilt. Bei Ausgrabungen in der Rüssinger Gemarkung sind 1933 Scherben einer Kera mik gefunden worden, die kultur- historisch wohl nicht zugeordnet werden konnte und fachlich mit „Rüssinger Typus“ benannt wird. Neben dem Pflugschar das zweite Alleinstellungsmerkmal von Rüssingen. Zwischen der Besiedlung in der Jungstein- zeit und dem Eintrag im Lorscher Kloster liegt ein großer Zeitraum, der selbstverständlich mit viel Geschichte, die Rüssingen mit einigen Nachbarn und Umlandgemeindenteilt, gefüllt ist. Die Anwesenheit der Kelten in unserer Region ist durch das Oppidum auf dem Donnersberg hinreichend belegt. Daran schloss sich eine über 400 Jahre dauernde Herrschaft der Römer an. Münzfunde, Siedlungsausgrabungen und Gräberfelder lassen sie hier gegenwärtig sein. Vordringende Germanenstämme beendeten die römische Herrschaft und Burgunder und Alemannen nahmen bis Anfang des 6.Jahrhunderts auch unsere Gegend in Besitz. Danach folgte die Zeit unter den Franken. Diese Epoche hinterließ in Rüssingen bis heute ihre Spuren. Von ihnen stammt der Ortsname, die fränkische Bauweise und der heilige Martin, der schon Kirchenpatron ei ner vermutlich fränkischen Vorgängerkirche war. Die fränkischen Ritter aus dem Königs geschlecht der Merowinger drangen in die Pfalz ein und blieben bis etwa 750, um von den Karolingern abgelöst zu werden. Diese blieben wiederum bis 911. Die Frankenzeit bescherte, wie bereits anfangs erwähnt 773 den ersten urkundlichen Beweis von Rüssingen. Es ist denkbar, dass der Ort durch die geschlossene Bebauung auch befestigt war oder zumindest einen Graben als Schutz besaß. Ende des 12. Jahrhunderts legten die Bolander ihre herrschende Hand über das Dorf und gaben ihm Bedeutung. Dazu schrieb Berthold Schmidtke: „... mit Gericht und Pfarrsatz sind zwei bedeutende Qualitäten des mittelalterlichen Rüssingens genannt, über die bei weitem nicht jedes Dorf verfügte“. Die Bedeutung des Ortes bestätigt ein Gerichtssiegel von 1474, das im Besitz der Gemeinde ist. Es zeigt damals schon das Pferd als Wappentier. Nach 1288 waren es die Grafen von Sponheim Dannenfels, nachdem durch die Heirat der Bolanderin Kunigunde mit dem Grafen Heinrich I. von Sponheim diese zur Herrschaft wurden. 400 Jahre hießen die Landesherren anschließend „von Nassau“. Anna von Sponheim hatte den Grafen Philipp I. vonNassau Saarbrücken geehelicht. Diese Ära dauerte von 1393 bis 1574 und anschließend Nassau Weilburg bis 1793. Der damalige Fürst Friedrich Wilhelm verließ sein Landbeim Heranrücken der französischen Revolutionstruppen. Dazwischen lagen Kriegs- zeiten, 1525 Bauernaufstände, 1618 – 1648 der schreckliche „Dreißigjährige Krieg“ und wenige Jahre später der „Pfälzische Erbfolgekrieg“. Dies hatte zur Folge, dass am Ende des 17. Jahrhunderts das Dorf größtenteils zerstört war. Zum Wiederaufbau wurde unter anderem die Ruine der nördlich des Dorfes stehenden Heiligkreuzkirche als Steinbruch ausgebeutet.Zwei weitere Ereignisse sollten noch erwähnt werden. Der damalige König Adolf von Nassau rastete am 2. Juli 1298 auf dem Weg zum Kampf gegen Albrecht von Österreich an der Linde oberhalb des Dorfes, sodie Überlieferung. Die Reformation erreichte auch Rüssingen, denn schon 1530 wurde in der Dorfkirche lutherischer Gottesdienst gehalten. Die Auswirkungen der französischen Revolution führten dazu, dass Rüssingen ab 1798 zum Kanton Göllheim gehörte und der Mairie, dem Bürgermeisteramt Göllheim unterstellt war. Die Feudallasten wie Frondienst und der Zehnte wurden abgeschafft. Es folgte die Enteignung von Adel und Kirche und die Bauern hatten die Möglichkeit, die Höfe und Güter vom französischen Staat zu erwerben, was im „Rüssinger Häuservergleich“ dokumentiert ist. Die Franzosen führten den „Code Civil“ ein. Ab 1. Mai 1816 gehörte Rüssingen wie der Rest der Pfalz zum Königreich Bayern. Landesherr war nun König Maximilian I. Josef. Er garantierte den Pfälzern den Fortbestand des „Code Civil“ und den Erhalt der wich tigsten Errungenschaften der französischen Revolution. 1849 hatte Rüssingen einen eigenen Bürgermeister mit Johann Georg Bernhard. Ihm folgte 1881 der Gutsbesitzer Johann Kleinhanß, sowie 1904 bis 1918 Peter Bernhard I. Die erste Schule wurde 1742 auf dem Gauberg erwähnt. Bereits 1772 ist ein Schulgebäude in der Hauptstraße erwähnt,1837 wurde an gleicher Stelle ein neues errichtet. Unten befand sich der Saal, oben die Dienst wohnung für den Lehrer. Etwa im Herbst 1886 wurde ein weiteres Schulgebäude für den Unterricht notwendig, dafür musste die Schulscheune weichen. Dieses wurde einige Jahre später aufgestockt undab 1903 darin unterrichtet. Das ehemalige Schulhaus stand dann ausschließlich als Lehrerwohnung zur Verfügung. Im neunzehnten Jahrhundert wollten auch aus Rüssingen Menschen der Not in der Heimat entgehen und in der Ferne eine neue Existenz aufbauen. Vielen ist das wahrscheinlich auch geglückt, einige hat es nachJahren in den USA, wohl aus Heimweh, wie der in ihre Heimat zurückgezogen. Fünfzehn Familiennamen nennt die Dorfchronik und zählt 37 Personen, die auswanderten und beschreibt einiges aus ihrem Leben. Text Arno Stuppy |